Donnerstag, 25. März 2010

Amokläufer sein oder nicht

18.03.10 Schauspielhaus Premiere

Trauriger Weise muss gestanden werden: der Handlungsablauf ist nicht neu.
Was sich hinter dem Titel Punk Rock verbirgt, entpuppt sich auf der Bühne des großen Hauses als Theaterstück über einer Thema, zu dem junge verzweifelte Menschen Journalisten bereits viel zu oft Gelegenheit gaben, ihre Schlagzeilen auf die Titelseite zu bringen.

Amoklauf.

Die Handlung zeichnet sich über die Charaktere.
Vorhersehbare Charaktere, Stereotypen muss man sagen. Vom mächtigen Widerling, gegen den sich keiner aufzulehnen wagt, seiner überehrgeizigen Freundin über das Pummelchen, das nicht anecken will, dem Smarten, den eigentlich jeder mag, vielleicht, weil er es jedem recht machen will und nie eigene Positionen bezieht, die Neue, vielgereist und in der Großstadt aufgewachsen bis zum sensiblen jungen Mann, der sich so in seiner Verwirrung, seinen Fantasien und Träumen verliert, dass er zu lügen beginnt. Und schlussendlich der Intelligenzbolzen, dessen Liebe der Mathe und Physik gilt, durch seine Hornbrille gebrandmarkt.

Diese Figuren sind zwar überspitzt dargestellt, doch mit so überzeugender Kraft gespielt, dass die Schauspieler wie Magnete wirken. Mehr von fremder Hand über die Bühne schnellen gelassen, als sich aus eigener, menschlicher Kraft bewegend.
Wer sich mag, zieht sich an und hält die Nähe trotz des Positiven nicht aus, schnellt wieder auseinander. Wer sich nicht mag, kann mit aller Kraft zueinander gedrückt werden, sobald sich die Möglichkeit ergibt, fliehen sie wie zwei Minuspole voneinander. Irgendwie hält keiner es beim anderen aus, man sieht das Alltagstheater von unsicheren Teenagern, die sich Masken aufsetzen, weil sie nicht wissen, wer sie sind oder einfach nur in Ruhe sein wollen.

Dieses intensive Spiel geht unter die Haut. Kaum dass die Charaktere sich gegenseitig in ihre Rollen stoßen, sitzt man mit Anspannung da, Unbehagen breitet sich in einem aus. Dass dieses Machtgefüge zu eskalieren droht, wird schnell deutlich, da Verachtung, Schikane und Aggression so offen zu Tage treten. Vor allem, weil man merkt, was nicht zu Tage tritt: Zivilcourage, das Eintreten und Einstehen füreinander. Hieraus entsteht eine Dichte der Darstellung, die das Stück vom Kochtopf der Klischees rettet, da an dieser Stelle das Gewissen des Zuschauers abgeklopft wird. Da sitzt man in seinen Sessel verbannt und ist doch zum Teil auf der Bühne. Der Schulalltag ist noch nicht allzu weit weg. Man möchte eingreifen und fühlt sich zugleich machtlos. Diese unerträgliche, sich über fast zwei Stunden hinziehende Ausgeschlossenheit aus Prozessen, bei denen ersichtlich ist, was falsch läuft, was veränderbar wäre. Was abwendbar wäre.
Sich eine Theateraufführung anzusehen, ist eben doch etwas anderes als ein 3-D-Film, erst recht etwas anderes, als Zeitungsartikel oder Dokumentationen. Vor einem stehen Menschen, die wirklich agieren. Diese Gefühle brennen sich ein. Der Wunsch eingreifen zu können auch. Womöglich erwächst genau daraus eine Handlungsader, die sich gegen die soziale Kälte und Gleichgültigkeit richtet, die Gisela Mayer, Mutter der beim Amoklauf von Winnenden getöteten Referendarin, in ihrem Buch anprangert und die auch im Programmheft zu Wort kommt.

Das Bühnenbild untermalt den Spiegel von Wünschen und Ängsten der Schüler mit englischen Worten. Auf der Ebene vor der riesigen Schulhoftreppe steht mittig mit einem Ausrufezeichen versehen „soul“, umkränzt von weiteren positiven Wörtern wie „love“, „meet“ und „trust“.
Je weiter die Augen die Treppenstufen hinaufwandern, desto mehr Verzweiflung und Bedrückung steckt in den Wörtern: „dead“, „sorrow“, „adieu!“, „blood“ und „bomb!“.

Bis hierhin sind Handlung, schauspielerische Darstellung und Bühnenbild stimmig.
Kreativster Teil des Bühnenbildes sind die 27 Kopfhörer, die in Dreier-Gruppierungen wie an riesigen Nabelschnüren von der Decke hängen. Dies ist der Teil des Bühnenbildes, der am vielversprechendsten wirkt, der sofort ins Auge fällt. Der leider fast nicht genutzt wird. Lediglich an einer Stelle, an der einzigen wirklich interpretierbaren, werden sie genutzt, allerdings nur verspielt und in ihrem Potenzial nicht ausgeschöpft. Die ganze Zeit will man wissen, was es damit auf sich hat, ob die eigenen Vermutungen zutreffen – und dann wird dieses Bühnenelement einfach nicht genutzt!

Dieser Makel sollte jedoch nicht davon abhalten, das Stück zu sehen. Wer das Stück nicht anguckt, handelt vielleicht in genau der Weise, der auf den Zahn gefühlt wird – nämlich gar nicht.

Kathrin Dittrich

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