Freitag, 12. März 2010

Mit dem Rücken zum Publikum

Was war da los? Der kreative Kritiker geht ins Theater, um sich inspirieren zu lassen, erfährt jedoch, dass er sein eigenes Stück ins Laptop tippen soll. Somit wird auch der Autor dieses Textes gewissermaßen Mitautor am Ganzen. Das inspirierte Individuum wird Teil des Kollektivs. Im Theater tritt dieses Kollektiv in Form eines Chores auf: Mädchen in rosa Uniformen. Und das MetaStück des Kritikers ohne Spiralblock beginnt:
Chor: Die Universität ist eine Bildungsfabrik. René (Achtung, Zitat!): „Alle denken: Seele! Und: Scheiße, dass man nichts sieht.” Kritiker: Ja, was sieht man, wenns am Publikum vorbeigeht, vorbeizischt? Oder war ich zu langsam/blöd? Gouvernante/Richard/Romeo/Rois: Mit dem Rücken zum Publikum! Hilfe, es gibt kein Backstage. Bin ich eine exaltierte Künstlerin, bzw. wie werde ich zu einer? Hm, mal in den Chor hineinhorchen. Kritiker: Wirklich phänomenal, diese Intonation, die Phrasierung, dieser Kontrapunkt. Ein Lob an Chorleiterin Christine Groß! Überhaupt der Chor: Sicher das Highlight des Abends. Chor: JUU-Ra! UNIversität! Universales Kollektiv! UNIform!
Unique, einzigartig war dieser Abend allemal. Alle haben mal was gesagt und sei es mit französischem Akzent. Zum Glück bin ich hier ja nicht gleichgeschaltet wie an der Uni, muss also nicht auf Fußnoten oder Quellenangaben achten, nicht auf verblichenen Disketten abspeichern. Und ich frage mich, bin ich noch im Theater oder schlafe ich schon? Bühne oder Backstage? Kunst oder Realität? Hab ich vergessen, hätte wohl doch zwischenspeichern solln. CUT
Was war auffällig an diesem Pollesch? Keine Kamera, kein “Reality-Affairs” für den Bildungsbürger. Der Zuschauer sieht sich zwar wie einst im Kabinett museal gerahmt im Spiegel des klugen Bühnenbilds von Bert Neumann (die Rückseite einer in den Zuschauerraum ragenden Bühne), doch wird uns auch wirklich ein Spiegel vorgehalten? Wohl eher eine (museale?) Haltung:
Das konservative Theater interessiert mich nicht, keine Handlung, keine Psychologie. Ich will nicht berührt werden, nicht berühren.
Entertainment: Ich bin Boulevard, ich bin Klamauk, bin intelligent, nicht platt, intellektuell, schau, schau, nicht altklug, nicht selbsverliebt, nur -reflexiv, das ist ein universaler Unterschied!
Die Souffleuse kurbelt den Vorhang der Bühne auf der Bühne auf und zu. Doch nicht nur die Kurbel dreht sich, auch der Abend dreht sich redundant im Kreis. Ein Repetierfaktor mit Wiedererkennungswert. In gewisser Weise wirkt das Pollesch-Theater wie eine sprichwörtliche Bildungs-Fabrik. Die Maschinerie Theater für alle sichtbar offengelegt. Aller Semantik, Gräten und roter Fäden beraubt.
Chor wie ein verlangsamtes Repetiergewehr: Die Universität ist eine Bildungsfabrik. Studiert JURA! Der internationale Gerichtshof hat alle Hände voll zu tun, um den internat-ionalen Anzeigen nachzugehen, da braucht es Juristen. Wollte mir der Chor das sagen? Man weiß es nicht! Eine von vielen, sicher absichtlich gesetzten Leerstellen im polarisierenden Theater des René Pollesch.
Chor: BildungsFabrik! Kritiker: Ein-bildung wäre eine Imagination, doch die verweigert Pollesch. So bleibt es bei der Bild-ung. Ein Abend, von dem sich jeder selbst sein Bild machen kann.
Das Publikum, die Fans, die traute Theatergemeinde applaudiert frenetisch, bis auf ein paar verhaltene Buhrufe für die aufgezeigten Wege aus der Selbstverwirklichung. Und ich möchte schreien: Scheiße, war das intellektuell! Oder: Scheiße, war das langweilig! Ich weiß es nicht. Scheiße!!! BLACK

J.S.

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