Dienstag, 6. April 2010

Ich bin es, Faust!

Faust I, Regie: Jan Bosse, Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Großes Haus, 02.04.2010

Du bist es, Faust! Was ich heute am Karfreitag auf der Bühne sah, war Faust! Zum Dritten Mal sah ich es, doch immer wieder vermag es dieses mit erfolgreichste Stück des Deutschen Schauspielhauses mich und alle Zuschauer in den Bann zu ziehen. Wo soll das Loben anfangen, wo soll es enden. Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch. Eine so stringent in sich logische und doch immer wieder die Erwartungen des Zuschauers brechende Inszenierung sah ich selten. Es ist der Faust in uns, Faust und Mephisto streiten in unserer Mitte und so war es eine schlichte, aber brillante Idee, die Bühne als Drehbühne in die Mitte zu verlegen und aus dem Zuschauersaal ein Amphitheater zu machen. Niemand kann den Blicken der anderen entgehen. Ist der Zuschauer neben mir Zuschauer oder Mitglied des Faust-Chors oder gar Faust selben?
Wenn aus den Reihen der Zuschauer der Faust-Chor mit dem Oster-Choral beginnt, wenn Gretchen in der Kerker-Szene Trost und Hilfe im Publikum sucht, wenn sich in der Walpurgisnacht die weiße Hemde und weiße Abendkleider tragenden Damen und Herren im Schwarzlicht selbst zu den Hexengestalten auf dem Brocken sich wandeln, kann man nicht mehr leugnen, dass Faust in unserer Mitten einen Kampf mit uns und sich ficht. Edgar Selge als Faust schafft es nicht nur seine ewig langen Monologe um das Ringen nach dem Verständnis, was die Welt im Innersten zusammen hält, als höchstspannenden, sondern auch lustigen Kampf zu präsentieren. Immer wieder wird die doch so ernsthafte Atmosphäre gebrochen, wenn beispielsweise seine Gehilfe Wagner, gespielt von Tillbert Strahl-Schäfer, welcher in seinem Anzug als BWL-Student durchgehen könnte, den senilen Faust von seinen Gedankenfluchten wieder auf den Boden der Tatsache zurück führt oder in Augenbachs Keller die Menge durch die Worte „Guten Abend Leipzig“ begrüßt.
Doch Joachim Meyerhoff und immer wieder Joachim Meyerhoff muss genannt werden. Gefährlich und schön, lustig, affig und grausam erscheint er und trägt in sich Gott und den Teufel, wenn er zu Beginn im Prolog im Himmel die kleine Drehbühne mit riesigen schwarzen Flügel betritt und nie die Kontrolle über Faust zu verlieren scheint. Unwohl wird es einem in der Schüler-Szene, wo Mephisto zunächst den sehr jungen Schüler (14 Jahre) durch die Mangel der Worte dreht und dann offene sexuelle Anspielungen macht und im Verweis auf das Studiengebiet der Pädophilie fast handgreiflich wird. Der Schüler flieht. Es ist nur Theater. Doch sollte man sich auf Grund solcher Szenen überlegen, ob es wirklich sinnvoll ist, Kinder, wie sie mir gegenübersaßen, den Theaterbesuch zu erlauben.
Und was ist mit Gretchen? Gespielt von Julia Nachtmann sieht man mal eine schüchterne, doch auch schnippische junge Frau in Mini-Jeansrock, mal einen strahlenden Stern im Glitzerkleid, die sich drehend den „König von Thule“ singt. Doch mehr noch als die verliebte Grete, reißt uns Julia Nachtmann in der Kerker-Szene mit sich fort. Jeglicher Illusion der Welt entledigt flüchtet sie sich in einem Moment in die schöne Vergangenheit, sucht dann Trost beim Zuschauer, schreit ihr Elend heraus oder antwortet dem hilflos wirkenden Faust mit eisiger Ironie in der Stimme.
Es ist ein Gretchen, das scheitert, doch vor allem ein Faust, der zu schwach scheint um zu helfen. Die Errettung durch den Himmels bleibt aus, doch ist nicht nur sie, sondern vor allem Faust gerichtet, der immer in seinem Gedankenwelter verschwand, wenn er in der Tat gebraucht wurde.
Schaut ihn euch an, diesen Faust. Dieser Theaterabend zeigt in seiner oft so kompliziert wirkenden lyrisch dramatischen Sprachen eine Klarheit, die mich in den Bann schlägt. Immer wieder.
Faust ist Faust gerecht geworden.

Marie Schwesinger

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