Donnerstag, 1. April 2010

Mann unter Strom - Hamlet reloaded

30.03.2010, Malersaal, Deutsches Schauspielhaus in Hamburg

Es gibt Stücke, die verfolgen einen. Stücke, die sieht man immer wieder. Man beschäftigt sich mit dem Stück, liest es, spielt es. Stellt sich gemeinsam mit dem Protagonisten existentielle Fragen: Wer bin ich? Wohin geh ich? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Fleisch oder Gemüse? Achso, zu fest dies Fleisch. Also doch lieber Gemüse?
Und vor allem die Frage aller Fragen: Sein oder Nichtsein? To be or not to be? Schein oder Sein? Ein Mensch sein oder nicht - das ist die Frage. Fragen stellen, in sich hineinhorchen, lauschen, was da nachhallt. Und schließlich feststellen, dass man am Schluss zu keinem Schluss kommen kann. Es gibt keine Antworten.

Thomas Esser und Tobias Vethake steuern sensibel Musik bei, unterstützt am Cello von Ophelia Nadine Schwitter. Soviel gute Musik gibt es selten am Theater. Man möchte gleich in den nächsten Laden rennen und das Album "Hamlet reloaded" kaufen. Verwiesen sei an dieser Stelle wenigstens auf folgenden Link: http://www.myspace.com/sickerman
"Darkness Follows" from Hamlet, einfach mal reinhören. Die Musikalität bereichert diese von Klaus Schumacher durch und durch durchkomponierte Inszenierung.
Auch das Lichtkonzept ist fabelhaft.
Wer den letzten Hamburger Hamlet im Thalia Theater in der wenig berührenden Inszenierung von Michael Thalheimer gesehen hat, der wird begeistert und dankbar sein. Dankbar dafür, dass diese Inszenierung von der ersten Sekunde an gefangen nimmt, in eine fremde Welt entführt, tief ins Herz trifft und berührt. Begeistert von diesem spielfreudigen Ensemble, allen voran Thorsten Hierse als Hamlet. Seine Präsenz, sein präzises, differenziertes Spiel überzeugen auf ganzer Linie. Dieser Mann steht unter Strom. Er will uns viel mitteilen, er spricht uns direkt an, ja macht uns sogar zu den Darstellern der berühmten "Mausefalle". Hierse beherrscht sie, diese Bandbreite zwischen Komik und Tragik. Auf dieser Klaviatur spielt er virtuos, ohne (wie leider allzu oft bei überambitionierten Schauspielern) gekünstelt zu wirken. Dieser Hamlet ist einfach echt, kein Fake-Hamlet, kein So-Tun-Als-Ob, ganz bei sich und bei uns Zuschauern. Einfach ganz nah dran. Spannender als so mancher lahme Tatort im Ersten. Ein Thriller, der, immer wenn der Geist von Hamlets Vater sich zu Wort meldet, sogar mit surrealen Special Effects punktet. Diesen Dolby-Surround-Sound muss man erleben, den kann man nicht beschreiben. Für Hermann Book ist Erik Schäffler als Polonius eingesprungen. Der Teufel aus dem "Hamburger Jedermann" fügt sich perfekt ins Ensemble und sorgt für einige Lacher.

Am Schluss dann das dramatische Gefecht, untermalt vom spannenden Soundtrack. Im Malersaal solide choreographiert und packend in Szene gesetzt. Schumacher hat es einfach drauf - Shakespeare sensibel heutig, aber nicht hyper-modern zu inszenieren. Da hallt sehr viel nach. Diese Inszenierung ist eine Punktlandung und ein angenehmer Stich ins Herz. Chapeau! So lauten denn auch viele O-Töne von jungen Zuschauern bereits in der Pause: "Cooles Stück!"
Was will man mehr?

Julian Struck

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