Freitag, 25. Juni 2010

Zwischen Traum und Albtraum

Amerika um 1929.
Eine Zeit, in der die Menschen auf dem Land allesamt alleine sind. Alleine mit sich, alleine auf der Suche nach Arbeit, alleine mit etwaigen Hoffnungen.
Alle, ohne einen Platz zu haben, wo sie hingehören. 1929, die Zeit der großen Weltwirtschaftskrise.
Eine Situation, in der wohl jeder eine Kosten-Nutzen Analyse aufstellt.

In dieser Ewigkeit der Einsamkeit begegnet der Zuschauer zwei Freunden.
Freundschaft, die Frucht der Menschlichkeit – nicht das Produkt. Wie lässt sich da eine Kosten-Nutzen Ermittlung aufstellen ? Lässt sich die Treue einer Freundschaft gegen ein schönes Leben aufwiegen ?
Da ist George, der kleine, kluge Kerl, dem die Freundschaft eine Bürde auferlegt, die ihn immer wieder sagen lässt : „Gott, ich könnte so leicht ein schönes Leben haben, wenn ich dich nicht am Hals hätte.“
Lennie, auf einfältige Weise dumm aber liebenswert, bereitet ihm dieses schwere Leben. Natürlich nicht mit Absicht, „aber es ist immer etwas, was er nicht gewollt hat“.

Dieses „Immer“ und das, was „nicht gewollt“ ist, ergeben jedoch stets Situationen, in denen George Beiden Kopf und Kragen retten muss.
Immer und immer wieder, sodass sie Getriebene sind und sich nirgendwo niederlassen können.
„Es braucht keinen Verstand, um nett zu sein.“, doch das kindliche Gemüt steckt im Körper eines großen, starken Mannes, dessen Kraft alles Weiche, Zarte und Schöne, was er liebt, zerstört.

Als Zuschauer schlüpft man in die Rolle des Verantwortungstragenden, ist mit George verzweifelt, hilflos und weiß nicht mehr weiter – erkennt dennoch, dass dieser törichte Mensch einen vor Einsamkeit rettet und zehrt vom Traum, vom Luftschloss, in diesem Fall der „Luftfarm“, dem Ort, der einem gehört, wo man hingehört, wo man sein eigener Herr ist.

Die Kraft des Spiels treibt einem keinen Kloß in den Hals, es sind eher kleine Quadrate, die mit jedem Schlucken tiefer kriechen. Dieses Stück geht nicht unter die Haut, es geht bis an die Knochen. Die Quadrate bleiben im Herzen stecken. Das Gefühl ist so durchdringend und markerschütternd, so kantig wie das ganze Bühnenbild.
Die Schauspieler agieren auf einem so hohen Energieniveau, dass eine Spannung entsteht, die im Zuschauer einen Sturm entbrennen lässt. Einen Kampf zwischen Verstand und Emotionen, einen Kampf, der von der aufkommenden Kosten-Nutzen-Frage nagend unterwandert wird. Einen Kampf, der sicher bei mehr als einem Zuschauer Tränen in die Augen treiben wird – aber keine Sorge: vorm Applaus wird einem ein Moment Dunkelheit vergönnt, in dem Tränen heimlich getrocknet werden können.
Die Quadrate bleiben aber noch eine ganze Weile im Herzen.

Kathrin Dittrich

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