Freitag, 8. Oktober 2010

Paradies und Zerstörung

Tragische Liebhaber, jugendliche Salondamen, humoristische Väter, bedeutende Chargen: aufgepasst!

Wer von euch den jugendlichen Eifer aufbringt, gesellschaftlichen Problemen furchtlos ins Auge zu blicken und des Nachts mit Stift und Papier bewaffnet die Welt aus den Angeln zu heben versucht, der/die sollte nicht vergessen seine/ihre wohlformulierten Reden vor Besuch von „Hamlet“ noch einmal zu studieren...

„Hamlet“ ist jung, feurig, gnadenlos und sensibel zugleich. Es wirkt unvorstellbar, dass dieser Stoff im Englischunterricht als langweilig empfunden werden konnte! Zu dieser Differenz könnte beitragen, dass zumeist der Punkt Politik im Mittelpunkt steht, vor Ungerechtigkeit trieft und durch die Übermacht eines Einzelnen eine Lähmung, ja, eine Art Politikverdrossenheit aufkommt.

Im Malersaal ist die Liebe zwischen dem Prinzen von Dänemark und der Tochter des Oberkämmerers der Aufhänger und sie wirkt erstmals glaubwürdig. Eine zarte, schöne Liebe, leicht wie die Flügel eines Schmetterlings, der vom Wind ergriffen und zerfetzt wird.
Gleich zu Anfang bereitet die Zweisamkeit der Liebenden einen paradiesischen Beginn, den man als himmlisches Kleinod in Bernstein einschließen, für die Ewigkeit bewahren möchte. Sie wird hingegen der Zerstörung durch Machtgelüste erliegen.

Die Gefühle wirken überwältigend authentisch, da vor allem die Hauptdarsteller Thorsten Hierse und Nadine Schwitter mit eindringlichem Spiel brillieren.
Das Stück gewinnt daran, dass die Figur der Ophelia ein erstaunlich hohes Maß an Selbstbewusstsein an den Tag legt, sie Humor beweist und scherzen kann, obwohl sie in familiär-patriarchalische Strukturen eingebunden ist. Ebenso bereichernd ist die schier nicht zu bändigende Energie mit der Thorsten Hirse Hamlet beflügelt.
Für dieses reiche Spiel bietet der Malersaal die optimale Bühne. Dank der „Nahaufnahmen“ ist hinter dem Pathos die menschliche Zerbrechlichkeit zu erkennen.
Die melancholische, dunkelschöne Musik schenkt die letzte Nuance, die einen ins Schwärmen für diese Inszenierung bringt – die ihr etwas, wie eine Seele schenkt.
So sitzt man zwei Stunden in dem kleinen Raum, emotional mehr und mehr aufgewühlt, von Ungerechtigkeit erschüttert und der brennenden Wunsch flammt in einem auf, aufzuspringen, einzugreifen, denn man weiß, was auch Hamlet weiß, fühlt, was auch Ophelia fühlt.

Dieser aufgestaute Handlungsdrang kann nun in Hamburg in Taten umgewandelt werden.
Das Junge Schauspielhaus soll kein Schmetterling gewesen sein. Es darf nicht aufgenadelt und in den Schaukasten „Vergangene Perlen der Hansestadt“ eingereiht werden.
Freunde des (Jungen) Schauspielhauses: lasst uns gegen das Unrecht stürmen, dem Problem ins Auge blicken, Reden schreibend und schwingend die Hamburger Kulturpolitik aus den Angeln heben. Hamlet musste eine Monarchie erdulden – wir sollten und müssen von unserer Demokratie Gebrauch machen!
Es wäre doch lächerlich, wenn ein dem Fach nicht vertrauter Kultursenator die Hauptrolle in dem äußerst schlechten Stück „Die Leiden des jungen Schauspielhauses“ einnehmen darf! Junges Schauspielhaus, ich schließe mich dir an: „Lieber streitend vergehen!“

Kathrin Dittrich

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